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Sonntag 1 Oktober 2023

Nachrichten aus Schweizer archäologischen Forschungen in Griechenland 2023

Wie bei jedem Filmabspann, werden auch am Ende des Dokumentarfilms Artémis – Le temple perdu die Mitwirkenden aufgezählt, die Teil des grossen Abenteuers waren, das zur Entdeckung des Heiligtums von Amarynthos führte. Mit der Ausstrahlung dieses Dokumentarfilms auf RTS und Arte sowie dessen bevorstehenden Übersetzung ins Italienische und Neugriechische schlägt die ESAG eine neue Seite auf. Obwohl die Entdeckung des Heiligtums heute als selbstverständlich gilt, war sie zu Beginn der 2000er Jahre noch eine ferne Hoffnung.

Es geht nun um die Auswertung, Veröffentlichung und öffentliche Präsentation der Resultate. Die Analyse- und Restaurierungsarbeiten werden zwar eher fern der Öffentlichkeit durchgeführt und selten in Dokumentarfilmen thematisiert, sind aber unerlässlich, weswegen Gelder, Mittel und Arbeitskräfte dafür bereitgestellt werden müssen. Die Mission der ESAG in Amarynthos steht erst am Anfang mit einer neuen wissenschaftlichen, logistischen und denkmalpflegerischen Grundlage. Die nächste Herausforderung steht an: Das Magazin des Museums in Eretria hat seine volle Lagerkapazität erreicht und soll deshalb erweitert werden. Ein Projekt wurde beim Kulturministerium eingereicht. Die Bauarbeiten beginnen voraussichtlich 2024 auf einem Grundstück, das zu diesem Zweck von der Stadtverwaltung von Eretria zur Verfügung gestellt wird. Es werden erhebliche finanzielle Mittel benötigt und wie bereits in der Vergangenheit hofft die ESAG auf die Grosszügigkeit privater Förderer. Des Weiteren müssen die rund 700 Objekte des archaischen Depots restauriert und untersucht werden, wobei sich bereits seit zwei Jahren ein Team dieser Aufgabe angenommen hat. Eine Studie zur Ausstattung und Architektur des archaischen Tempels wird Teil der neuen Amarynthos-Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen sein, als deren erster Band eine Monographie von Denis Knoepfler über ein im Artemision aufgestelltes Dekret für Militärmagistrate erscheinen wird.

Um sich auf diese Arbeiten zu konzentrieren, werden die Ausgrabungen im Heiligtum vorübergehend unterbrochen. Ganz eingestellt wird die Feldarbeit aber nicht: Es werden unter anderem gezielte Überprüfungen durchgeführt. Die Ausgrabungsareale werden zudem gereinigt und wo nötig mit Erde aufgefüllt und gesichert, um öffentliche Führungen durch das Heiligtum zu erleichtern. Es wird schliesslich erwartet, dass der Dokumentarfilm neues Interesse in der Öffentlichkeit wecken wird. Zu guter Letzt wird auch das Prospektions-Projekt im Sarandapotamos-Tal weitergeführt und auf die gesamte Region ausgeweitet. Ziel ist das bessere Verständnis der Einbettung des Artemisions in die antike Landschaft.

Dank der diesjährigen Arbeiten in Ama­rynthos ist die Ausgrabung des Tempelsektors praktisch abgeschlossen. Es wurde ein rund 100 Fuss langes Gebäude entdeckt (Hekatompedon). Die Grabungsergebnisse sind von grosser Bedeutung für die Erforschung der Entwicklung religiöser Architektur und Kulte in Griechenland. Ausserhalb Euböas hat die ESAG zudem zur Unterwasser-Ausgrabungskampagne des berühmten antiken Schiffswracks von Antikythera beigetragen, welches ein grosses öffentliches Interesse auf sich zieht, sowohl im Nationalmuseum in Athen als auch in der internationalen Presse. Die Ausgrabungen und Prospektionen auf dem Berg Hellanion Oros auf der Insel Ägina wurden im Jahr 2023 in Zusammenarbeit mit der Ephorie von Piräus Inseln fortgesetzt und beachtliche Ergebnisse erzielt.

 

Die Artemision von Amarynthos (Euböa), Ausgrabung und Prospektion

Im Laufe der Ausgrabungen 2023 in Amarynthos wurde der gesamte Artemistempel freigelegt. Mindestens drei Gebäude standen in sukzessiver Reihenfolge an diesem Ort: Das älteste wird auf das 8. Jh. v. Chr. oder früher datiert. Ihm folgte ein archaisches Hekatompedon, dessen Freilegung mehrere hundert wertvolle Opfergaben an den Tag brachten. In den Innenräumen befanden sich ausserdem mehrere Altäre. Der jüngste Tempel, von dem nur noch die Grundmauern erhalten sind, wurde Ende des 6. Jh. v. Chr. errichtet.

Sondierungen auf dem Hügel über dem Heiligtum haben bestätigt, dass es im 3. Jt. v. Chr. ein Befestigungssystem gab. Ein Grab aus dem 17./16. Jh. v. Chr. enthielt die Überreste mehrerer Individuen sowie zwei kleine Vasen.

Die Erforschung des Heiligtums wird durch ein Prospektionsprojekt in der Region zwischen Eretria und Amarynthos ergänzt (EASP). Nach Abschluss der dritten Prospektions-Kampagne sind nun 21 km2 mit insgesamt 189 Strukturen (aus allen Perioden) untersucht. Die Abhänge des Servouni waren in der byzantinischen und mittelalterlichen Zeit dicht besiedelt. Ein Dutzend isolierter Bauernhöfe aus der klassischen und hellenistischen Zeit konnten ausgemacht werden. Geomorphologische Analysen werden derzeit ebenfalls durchgeführt, um die Erosions- und Anschwemmungsdynamiken und deren Auswirkungen auf die Siedlungs-, Landwirtschafts- und Weidepraktiken in der Antike besser zu verstehen.

Artemision Projekt

Hellanion Oros, Ägina

Das fünfjährige Forschungsprogramm am Berg Hellanion Oros auf der Insel Ägina hat zwei Teile: Grabungen am Gipfel und archäologische Erkundungen des südlichsten Teils der Insel um den Berg Oros herum. In der dritten Kampagne hat das griechisch-schweizerische Team sich auf die Ausgrabung einer Zerstörungsschicht konzentriert, die ungefähr dreißig vollständige Vasen aus mykenischer Zeit ergeben hat. Auf dem Gipfel dieses Berges wurden fast 4000 Jahre menschlicher Besiedlung nachgewiesen. Der Berg wurde sowohl als Kultstätte (Zeusheiligtum) als auch als Wohnort genutzt.

Das Schiffwrack von Antikythera

Das Team von schweizerischen und griechischen Archäologen und Tauchern schloss im Mai/Juni die dritte Unterwasser­forschungs-Kampagne zum Schiffswrack von Antikythera ab. Die Arbeiten sind Teil eines fünfjährigen Forschungsprogramms (2021–2025) der ESAG unter der Leitung der Universität Genf. Die systematischen Ausgrabungen profitierten vom Einsatz modernster Technologien wie Unterwasserdrohnen, Fotogrammetrie und der Einrichtung eines wissenschaftlichen Feldlabors auf der Insel Antikythera. Die Untersuchungen lieferten neue Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der Fundstätte sowie weiteres archäologisches Material, das die bisherigen Kenntnisse über die Passagiere und die Ladung des Schiffes erweitern wird.

Antikythera projekt

An der Schnittstelle zwischen Geo- und Biowissenschafte

Die Untersuchung von Überresten vergangener Zeiten ist nicht nur für Archäologen und Historiker von Bedeutung. Immer mehr Bereiche der Bio- und Geowissenschaften werden genutzt, um feine Hinweise auf verderbliche oder für das bloße Auge unsichtbare Materialien zu finden oder um Bewegungen der Bevölkerung und die Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt im Laufe von Jahrtausenden zu rekonstruieren. Diese Wissenschaftler tragen wesentlich zur Archäologie bei, indem sie nicht nur Technik, sondern auch neue Sichtweisen auf die Antike liefern. Die Arbeit dieser Spezialisten, die von der Stavros Niarchos Stiftung unterstützt werden, fließt direkt in die laufenden Forschungen in Amarynthos und Eretria ein. Hier sind einige Porträts dieser Forscher.

Sylvian Fachard, Direktor von ESAG

Es würde den Rahmen der Einleitung sprengen, hier alle Mitwirkenden und Organisationen zu nennen, welche die Schule unterstützt haben. Jedoch besonders hervorzuheben sind das griechische Kulturministerium, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, der Schweizerische Nationalfonds, die Stiftung für die Universität Lausanne und die Stavros-Niarchos-Stiftung. Es ist mir zudem ein Anliegen, mich bei den jüngeren Generationen zu bedanken, die an den Projekten der ESAG mitgearbeitet haben. In den letzten zehn Jahren der Ausgrabungen in Amarynthos hat die ESAG mehr als 250 Studierende ausgebildet, vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Griechenland, Frankreich und weiteren Ländern. Es war eine besondere Erfahrung, sowohl auf menschlicher als auf professioneller Ebene: Es wurden noch nie in der Geschichte der ESAG so viele junge Archäologinnen und Archäologen in Griechenland aufgenommen. Trotz der bevorstehenden Ausgrabungspause in Amarynthos plant die ESAG weiterhin Praktika für Studierende Schweizer Universitäten anzubieten. Dies ist wichtiger Teil des Auftrages der ESAG.

Dank

–Ministerium für Kultur, Lina Mendoni
Antikendirektion im Ministerium für Kultur, Polyxeni Adam-Veleni (Dir.)
–Departement für ausländische archäologische Schulen, Konstantina Benissi (Dir.), Sophia Spyropoulou
–Ephorie für Alter­tümer der Insel Euböa, Dimitrios Christodoulou (Dir.), Olga Kyriazi, Fani Stavroulaki, Stavroula Parissi
–Schweizerische Botschaft in Griechenland, S. E. Stefan Estermann
–Griechische Botschaft in der Schweiz, S. E. Ekaterini Xagorari
–Gemeindeverwaltung von Eretria, Ioannis Dimitropoulos
–Regionalverwaltung Euböa, regionale Einheit Euböa, Giorgios Kelaïditis
–Amarynthos, Kulturverein, Leonardos Bilalis
–Verein Gerani, Kostas Frangoulopoulos
–Universität Lausanne, direction, décanat de la Faculté des lettres, Juanita Béguin, Dominique Thierrin, Antonio Santangel, Dilek Güngör, Coralie Grossrieder, Patrizia Ponti, Antoinette Nadal

Donatoren und Mäzene
–Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
–Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
–Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation
–Universität Lausanne und andere Universitäten der Schweiz
–Fondation philanthropique Famille Sandoz, Fondation Stavros S. Niarchos, Fondation pour l’Université de Lausanne, Stiftung Isaac Dreyfus-Bernheim, Ceramica-Stiftung, Société Académique Vaudoise, Fondation Pittet, Fondation Théodore Lagonico, Fondation Afenduli