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Sonntag 20 November 2022

Jahresbericht 2022

Mit ungerührtem und tiefem Blick hält eine weibliche Figur ein Rehkitz in den Armen, das sich eng an sie zu schmiegen scheint. Dieses starke Bild, das zweifellos seinen Platz in den Büchern über griechische Kunst finden wird, wurde am Dienstag, den 4. Oktober 2022, von den 93.000 Lesern und den 7 Millionen Online-Besuchern der Zeitung Le Temps gesehen, die es zu ihrer Titelgeschichte machte. Ein archäologisches Projekt lässt sich nie auf ein Objekt reduzieren, doch die am 12. Juli 2022 im Artemistempel entdeckte Statuette vermag die griechisch-schweizerischen Ausgrabungen im Artemision von Amarynthos sicherlich zu verkörpern.

Das andere starke Bild des Jahres 2022, das wiederum in der New York Times vom 30. Juni 2022 abgedruckt wurde, führt uns in die Tiefen des Ägäischen Meeres vor Antikythera : Ein Marmorkopf eines bärtigen Mannes, der trotz der Meeresablagerungen, die sein Gesicht bedecken, die Züge des Herakles bewahrt, erblickte nach zweitausend Jahren unter Wasser wieder das Licht der Welt.

Zwei Statuen aus verschiedenen Epochen, mit unterschiedlichen Lebenswegen, Geschichten und Fundkontexten, die jedoch durch die aussergewöhnliche Konnektivität des antiken Mittelmeerraums miteinander verbunden sind. Diese einzigartigen Funde verdeutlichen den Umfang der von der ESAG im Jahr 2022 durchgeführten Projekte und haben die Begeisterung der breiten Öffentlichkeit geweckt.

Die Artemision von Amarynthos (Euböa), Ausgrabung und Prospektion

An der Ausgrabungskampagne in Amarynthos nahm ein Team von über 70 Personen teil (ein Rekord für die ESAG), das sich aus ArchäologInnen, PraktikantInnen, Arbeitern, RestauratorInnen, MikromorphologInnen und GeomorphologInnen zusammensetzte. Die Ausgrabung des spätarchaischen Tempeldepots, das 2020 entdeckt worden war, wurde abgeschlossen, wodurch die Anzahl der Fundobjekte auf fast 700 anstieg. Anhand dieses aussergewöhnlichen Ensembles können die kultischen Praktiken und die Identität der DedikantInnen untersucht werden
Die Erforschung des Heiligtums wird durch ein Prospektionsprojekt ergänzt. 2021 und 2022 wurden fast 600 Hektar erforscht, wobei neue antike Siedlungszentren entdeckt wurden. Eines davon, das 1 km vom Artemision entfernt liegt, könnte das Zentrum des aus Inschriften bekannten Demos Amarynthos sein. Das Fehlen von Siedlungsresten aus der Zeit des Heiligtums auf dem Hügel von Paläoekklisies legt nahe, dass die umliegende Gegend der Gottheit geweiht war. Die Kombination von Ausgrabungs- und Prospektionsdaten ermöglicht somit ein besseres Verständnis der Entstehung der eretrischen Sakrallandschaft, ein Thema, das im Mittelpunkt des aktuellen Forschungsprogramms steht

Artemision Projekt

Projekt über die „Drachenhäuser“ von Euböa

Das griechisch-schweizerische Projekt über die „Drachenhäuser“ der Region Styra konzentrierte sich 2022 auf die Ausgrabung von Palli Lakka. Keramikscherben erlauben es, den Bau des Drakospito im Späthellenismus zu datieren. Ein wichtiges Ergebnis der Kampagne ist die Entdeckung einer monumentalen Schwelle im Südgebäude, die auf die Existenz eines ersten Gehniveau hinweist. Die römische Keramik in Palli Lakka sowie die Präsenz zahlreicher Steinbrüche in der Umgebung legen nahe, dass die Nutzung dieser Häuser mit dem Steinabbau zusammenhängt. Zudem wurden noch zwei weitere Drakospita, Makkou und Kapsala, dokumentiert. Diese wurden wiederum eher als ländliche Behausungen genutzt.

„Drachenhäuser“ Projekt

Hellanion Oros, Ägina

Auf der Insel Ägina erforschte ein kleines Team in Zusammenarbeit mit der Ephorie des Piräus und der Inseln den Gipfel des Oros, des höchsten Berges des Saronischen Golfs. Bei den Arbeiten wurden Funde und Keramik freigelegt, die auf den Ursprung der Kultstätte in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends schliessen lassen. Die neuen Indizien werden einen besseren Einblick in die Geschichte dieses Ortes in der Bronzezeit ermöglichen und gleichzeitig den Grundstein für eine systematischere und grösser angelegte Erforschung ab 2023 legen.

Das Schiffwrack von Antikythera

Die Kampagne 2022 an der Fundstätte des Schiffwracks von Antikythera erwies sich als sehr erfolgreich. Durch die Verlagerung mehrerer Felsblöcke, die einen Teil der Ausgrabungsstätte bedeckten, konnten wichtige Entdeckungen gemacht und die jüngsten Ausgrabungen mit früheren Funden verknüpft werden. Dank der vor Ort durchgeführten Analysen liegen nun genauere Informationen über die Lage des Wracks vor. Die Entdeckung eines Marmorkopfes, der vermutlich zur Statue des „Herakles von Antikythera“ gehört, welche 1901 geborgen wurde, ist ein vielversprechendes Zeichen für die weiteren Forschungen, die nicht zuletzt die genaue Dokumentation und Analyse des archäologischen Kontexts des Wracks zum Ziel haben.

Antikythera projekt

Die Opfergaben an Artemis unter dem Mikroskop

Die Ausgrabungen im Artemis-Heiligtum von Amarynthos zwischen 2020 und 2022 haben zahlreiche Funde hervorgebracht. Daher wurde das Restaurierungsteam am Ende der Grabung 2022 durch vier neue Restauratorinnen erweitert. Trotzdem wird mehr als ein Jahrzehnt nötig sein, um alle bisher entdeckten Gegenstände zu restaurieren. Die Vielfalt der Materialkategorien erfordert eine grosse Vielseitigkeit und umfassende Fachkenntnisse Fachkenntnisse. Jedes Objekt benötigt eine individuelle und sorgfältig durchdachte Behandlung.

Personalia

In diesem Jahr gab es eine tiefschürfende Erneuerung des Stiftungsrats der ESAG, da mehrere seiner Mitglieder ausschieden: Präsident Pascal Couchepin, ehemaliger Bundesrat, Vizepräsident Pierre Ducrey, Direktor der ESAG von 1982 bis 2006, Danielle Ritter und Matthieu Honegger.

Im Oktober 2022 hat Pascal Broulis, ehemaliger Waadtländer Staatsrat, das Präsidium der Stiftung übernommen. Seine Verbundenheit mit Griechenland und seine Leidenschaft für die Antike werden für die Sicherung der Zukunft der Schweizer Schule von unschätzbarem Wert sein.

 

Dank

Ministerium für Kultur und Sport, Lina Mendoni
Antikendirektion im Ministerium für Kultur und Sport, Polyxeni Adam-Veleni (Dir.)
Departement für ausländische archäologische Schulen, Konstantina Benissi (Dir.), Sophia Spyropoulou
Ephorie für Altertümer der Insel Euböa, Angeliki Simosi (Dir.), Kostas Boukaras, Olga Kyriazi, Efi Kassapoglou, Fani Stavroulaki, Stavroula Parissi
Schweizerische Botschaft in Griechenland, SE Olaf Kjelsen, SE Stefan Estermann
Griechische Botschaft in der Schweiz, SE Ekaterini Xagorari
Gemeindeverwaltung von Eretria, Ioannis Dimitropoulos
Kulturverein Amarynthos
Verein Gerani, Kostas Frangoulopoulos

Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation
Universität Lausanne und andere Universitäten der Schweiz
Fondation philanthropique Famille Sandoz, Fondation Stavros S. Niarchos, Stiftung Isaac Dreyfus-Bernheim, Ceramica-Stiftung, Société Académique Vaudoise, Fondation Théodore Lagonico, Fondation Afenduli.